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Ein (Fast-) Winterspaziergang in der Serenissima

Es ist für mich schon so etwas wie ein Nachhausekommen, wenn ich mein Auto im Parkhaus Tronchetto abstelle und in das Vaporetto der Linie 2 steige, denn ich bin nun schon zum vierten Mal in den letzten drei Jahren in Venedig. Meist bin ich Frühjahr oder im Herbst in Venedig, heuer war es das erste Mal, dass ich Anfang Dezember hier war.  An diesem Tag wehte ein kalter Wind und die Plätze draußen auf dem Vaporetto gehörten mir ganz allein. In den drei Tagen, die vor mir lagen, wollte ich mich ausschließlich auf das Fotografieren konzentrieren. Ich möchte Euch heute auf einen Spaziergang durch ein bereits winterliches Venedig mitnehmen - ein Venedig, das nicht überlaufen ist, ein Venedig, dessen Charme man sich zu dieser Jahreszeit noch mehr hingeben kann.

Blick mit venezianischen Gondeln über den Canale di Giudecca von San Marco-San Zaccaria in Richtung San Giorgio Maggiore
Blick von San Marco-San Zaccaria in Richtung San Giorgio Maggiore
Squero - Gondelwerft San Trovaso
Squero - Gondelwerft San Trovaso
Blick, nahe der Rialtobrücke, Canale Grande bevor die Sonne am Nachmittag vom Horizont verschwindet
Nahe der Rialtobrücke, am Canale Grande bevor die Sonne am Nachmittag vom Horizont verschwindet
Gondole Stazio Danieli, Riva degli Schiavoni nahe dem Markusplatz
Gondole Stazio Danieli, Riva degli Schiavoni nahe dem Markusplatz

Nach meiner Ankunft zu Mittag hatte ich am Nachmittag noch einige Stunden Zeit, um durch Venedig zu schlendern. Meine ersten Schritte führten mich von der Vaporetto-Station "Zattere" in Richtung "Campo San Trovaso".  Vor langer Zeit noch als Geheimtipp in diversen Blogs und Reiseführern erwähnt, ist die dort ansässige Gondelwerft heute unter Venedig-Besucher*innen weithin bekannt. Sie ist eine der wenigen verbliebenen Gondelwerkstätten in Venedig und von der gegenüberliegenden Seite kann man den Gondelbauern bei der Arbeit zuschauen. In der Umgebung der Werft gibt es viele nette Lokale, die meist noch nicht überteuert sind, wohl auch durch die sich in der Nähe befindliche Universität bedingt. Kulinarische Höhepunkte meiner Aufenthalte in Venedig sind immer die „Cicchetti“. Das sind Weißbrotscheiben oder geröstetes Ciabatta, die unterschiedlich belegt werden. Es gibt sie mit verschiedenen Aufstrichen, Wurst, Käse, Tomaten etc. Dazu wird gerne ein Spritz aus Prosecco, Mineralwasser, Aperol oder Campari gereicht.

Weihnachtsbaum 2023 auf der Piazzetta S. Marco
Weihnachtsbaum 2023 auf der Piazzetta S. Marco

Gut gestärkt spazierte ich in Richtung Markusplatz, einem der schönsten Plätze der Welt, auf dem sich - wohl der Jahreszeit entsprechend - nur wenige Menschen aufhielten.  Schon beim Näherkommen fiel mir der Weihnachtsbaum auf, eine ca. 15 Meter hohe Tanne, geschmückt mit weißen Lichtern und goldenen Kugeln.  Ich nutzte die Gelegenheit und fuhr mit dem Aufzug auf die Plattform des Campanile. Normalerweise stehen die Touristen Schlange, um die Aussicht auf Venedig zu genießen, heute war nur ein älteres japanisches Ehepaar vor mir, das ungeduldig auf den Aufzug wartete. Oben angekommen hat man einen herrlichen Rundumblick auf die Dächerlandschaft der Serenissima und da nur wenige Besucher an diesem Nachmittag diesen Ausblick mit mir teilten, konnte ich Venedig in alle vier Himmelsrichtungen gut betrachten, ohne von Selfisticks erschlagen oder durchbohrt zu werden. 

Blick vom Campanile di San Marco auf San Giorgio Maggiore und auf Giudecca
Blick vom Campanile di San Marco auf San Giorgio Maggiore und auf Giudecca
Kuppeln des Markusdoms
Kuppeln des Markusdoms

Der Jahreszeit entsprechend setzte bald die Dämmerung ein und mein Spaziergang führte mich noch ein Stück durch die Stadt in der blauen Stunde, die an diesem Tag allerdings nicht ganz so blau, sondern eher grau war. 

In den Arkaden am Markusplatz
In den Arkaden am Markusplatz
Das bereits 1720 gegründete Caffè Florian unter den Arkaden der Procuratie Nuove bei Nacht und in schwarz/weiß
Das bereits 1720 gegründete Caffè Florian unter den Arkaden der Procuratie Nuove
in Dorsoduro - eine der romantischsten Stadtsechstel von Venedig
in Dorsoduro - eine der romantischsten Stadtsechstel von Venedig
Licht und Schatten nahe "Zattere"
Licht und Schatten nahe "Zattere"

Am nächsten Tag meinte es das Wetter gut mit mir.  Keine dicke Wolkendecke versperrte der Morgensonne den Weg. Eine warme Jacke und Mütze waren aber trotzdem eine gute Empfehlung. Meine Unterkunft war auf der Insel Giudecca, einem Teil Venedigs, der normalerweise weniger besucht wird und mehr den Einheimischen gehört. Es gibt nicht viele Sehenswürdigkeiten auf der ehemaligen Klosterinsel, die sich dann zu einem Industrie- und Gewerbestandort gewandelt hat und heute mehr eine „Wohninsel“ ist.  Eine Ausnahme bildet natürlich Il Redentore, eine Kirche auf der Giudecca, die neben Santa Maria della Salute zu den beiden Kirchen gehört, die zur Rettung vor der Pest gestiftet wurden. Bemerkenswert ist auch das Hilton Molino Stucky. Aus einer ehemaligen Getreidemühle (denkmalgeschütztes Gebäude), die bis 1955 existierte, erfolgte eine Umwandlung  in ein 5-Sterne-Hotel. 

 

Morgenstimmung auf der Giudecca
Morgenstimmung auf der Giudecca

Wenn man den Canale delle Giudecca überquert, hat man einen herrlichen Blick auf einige der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Venedigs, die im Morgenlicht erstrahlen.  Ein Tipp für einen der besten Ausblicke auf Venedig, abseits der Touristenmassen, ist ein Besuch des Campanile di San Giorgio. Nach Norden blickt man auf das Herz Venedigs, den Dogenpalast, und in der Ferne auf die Lagune. San Giorgio Maggiore ist eine kleine Insel neben Giudecca, die ebenfalls mit dem Vaporetto erreichbar ist.

Campanile di San Marco und Dogenpalast vom Canale di Giudecca aus gesehen
Campanile di San Marco und Dogenpalast vom Canale di Giudecca aus gesehen

Im Zentrum von Venedig angekommen (von der Giudecca aus kann man mit dem Vaporetto die Haltestelle "Zattere" oder auch "San Marco" erreichen), spazierte ich über die Ponte dell'Accademia in Richtung Campo Santa Margeritha, einem sehr schönen und belebten Platz. Tagsüber gibt es Marktstände, an denen man Fisch und Gemüse kaufen kann. Außerdem säumen nette Lokale den Platz. Straßenfotografen finden hier genügend Möglichkeiten. Überhaupt bieten sich viele Plätze in Venedig an, um sich kulinarisch verwöhnen zu lassen und nebenbei ein wenig in das venezianische Leben einzutauchen. In dieser Hinsicht ist der Markt hinter der Rialtobrücke immer einen Besuch wert. Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Obst und viele landestypische Produkte werden hier von Dienstag bis Samstag angeboten. Das bunte Markttreiben, die verzweifelten Abwehrversuche der Fischverkäufer gegen die Möwen sind nett anzusehen.

Streetphotography (Riva degli Schiavoni nahe dem Markusplatz)
Streetphotography (Riva degli Schiavoni nahe dem Markusplatz)
Streetphotography (Campo Santa Margeritha)
Streetphotography (Campo Santa Margeritha)

Bei meinem Besuch Anfang Dezember fiel mir auf, dass an vielen Ecken und Enden der Stadt „gewerkelt“ wurde. Neue Leitungen wurden verlegt, Fassaden ausgebessert, Häuser an manchen Stellen mit Wandfarbe „aufgehübscht“.  Die Zahl der Tagesbesucher war überschaubar und ich hatte das Gefühl, mehr Venezianer als Touristen auf der Straße zu sehen und mehr Italienisch als Fremdsprachen zu hören.  Auf dem „Campo San Polo“, der nach dem Markusplatz der zweitgrößte Platz Venedigs ist, wurde gerade eine Eislaufbahn aufgebaut, die meines Wissens immer bis zum Ende des Karnevals geöffnet ist. Man kann also auch in Venedig im Winter Schlittschuh laufen!  Wer allerdings Weihnachtsmärkte in Venedig sucht, wird nicht so leicht fündig. Immerhin bin ich in den drei Tagen doch zahlreiche Kilometer durch die Stadt gelaufen, aber viel ist mir in dieser Hinsicht nicht aufgefallen.  

Via Giuseppe Garibaldi (Castello) mit Weihnachtsbeleuchtung
Via Giuseppe Garibaldi (Castello)
Il Redentore (Giudecca) bei Nacht mit Weihnachtsbaum
Il Redentore (Giudecca)

Auf weihnachtlichen Lichterglanz muss man aber auch in Venedig nicht verzichten, wenn auch für mich nicht im großen Stil, was mir persönlich sehr gefallen hat. Die bekanntesten und meistbesuchten Straßen sind natürlich geschmückt und auch einige Häuser sind weihnachtlich beleuchtet. 

Nachmittagslicht bei der Chiesa di Santa Maria dei Miracoli
Nachmittagslicht bei der Chiesa di Santa Maria dei Miracoli
Die letzten Sonnenstrahlen am Fondamenta Zattere al Ponte Longo
Die letzten Sonnenstrahlen am Fondamenta Zattere al Ponte Longo
Blick durch zwei Säulen bei der Kirche Santa Maria della Salute in Richtung San Giorgio Maggiore
Blick durch zwei Säulen bei der Kirche Santa Maria della Salute in Richtung San Giorgio Maggiore

Als Fotograf hat man in Venedig natürlich die Qual der Wahl. Ich habe mich vor dieser Reise entschieden, mich nicht auf die Sehenswürdigkeiten zu konzentrieren, sondern einfach in die Stadt einzutauchen. Ich hatte mir vorgenommen, ein wenig den Alltag in Venedig einzufangen und nur bei Gelegenheit  „klassische“ Venedig-Motive mitzunehmen, aber mich nicht auf diese zu konzentrieren. Deshalb war ich nur mit zwei Festbrennweiten unterwegs, einem 28mm an meiner Leica Q3 und einem 50mm an meiner Leica M11. So ersparte ich mir das lästige Wechseln der Objektive und benutzte meine Füße, wenn ich einen anderen Bildausschnitt wollte. Ich verwendete beide Kameras abwechselnd und so richtete sich meine Motivsuche immer danach, welche Brennweite gerade im Einsatz war.   

Kein "Acqua alta", aber ein erhöhter Wasserspiegel des Canale Grande (nahe Rialto)
Kein "Acqua alta", aber ein erhöhter Wasserspiegel des Canale Grande (nahe Rialto)

An diesem Tag hatte ich meine blaue Stunde und konnte ein paar Aufnahmen von Venedig in Abendstimmung machen. In diesen 1 1/2 Tagen ließ ich mich einfach durch Venedig treiben. Da ich die Stadt schon einige Male besucht habe, habe ich eine grobe Orientierung durch die verwinkelten Gassen und wenn ich mal wieder in einer Sackgasse stehe und das Weitergehen in einem Kanal enden würde, hilft mir das Navi auf meinem Handy. Am Tag darauf ging es nach Burano, Mazzorbo und auf die Friedhofsinsel San Michele, aber das ist bei Gelegenheit einen separaten Blogbeitrag wert. 

"Blaue Stunde" - Blick von der Ponte dell´Accademia in Richtung Santa Maria della Salute
"Blaue Stunde" - Blick von der Ponte dell´Accademia in Richtung Santa Maria della Salute
Abendstimmung in Dorsoduro (Venedig)
Abendstimmung auch in Dorsoduro
Passende Hüte werden auch am Markusplatz am Abend verkauft
Passende Hüte werden auch am Markusplatz am Abend verkauft
Venezianischer Schokobrunnen
Venezianischer Schokobrunnen
"Furlane" (venezianische Samtpartoffeln)
"Furlane" (venezianische Samtpartoffeln)

Ich bin meist in den Vierteln abseits der Besucherströme unterwegs, das ist mein Venedig, wo ich es an vielen Stellen ungeschminkt, also authentisch erleben kann. Und wenn die Füße vom vielen Laufen müde werden, gibt es in dieser Jahreszeit genügend freie Plätze, um sich bei einem Aperitif oder Caffè zu stärken. Da die Temperaturen auch in der eigentlich kalten Jahreszeit an vielen Tagen angenehm sind, haben viele Restaurants ihre Tische und Sessel das ganze Jahr über im Freien. In der Wintersonne sitzend, vielleicht noch durch eine Hauswand im Rücken geschützt, lässt sich die Serenissima besonders gut genießen.

Streetphotography - "180 Grad"
Streetphotography - "180 Grad"
Ob da niemand falsch anläutet?
Ob da niemand falsch anläutet?

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Kommentare: 6
  • #1

    Werner (Freitag, 08 Dezember 2023 12:53)

    Sehr schön. Mal so ganz andere Impressionen von Venedig. Danke für diese seltenen Einblicke!
    Liebe Grüße,
    Werner

  • #2

    Kurt (Freitag, 08 Dezember 2023 20:18)

    Danke für die herrlichen Bilder. 50 und 28mm sind auch meine Lieblingsbrennweiten.
    liebe Grüße Kurt

  • #3

    Bertie (Sonntag, 10 Dezember 2023 22:50)

    Ich bin sehr begeistert von deinem Venedigblick und gleichzeitig auch sehr berührt davon, wie viele „Augenblicke“ du so meisterhaft in dieser Stadt festgehalten hast. Es bestätigt meine Zuwendung und Liebe für diesen Ort aufs Neue!
    Aufrichtige Gratulation zu deiner Kunst , sehr bekannte Orte in neuer Qualität zu betrachten!
    Mit herzlichem Gruß
    Bertie

  • #4

    Michael (Donnerstag, 11 Januar 2024 21:56)

    Danke für die herrlichen Bilder und deine tolle Beschreibung deines Besuchs in der Stadt.
    Gruß
    Michael

  • #5

    Bernd (Freitag, 12 Januar 2024 07:41)

    Vielen Dank für Eure wunderbaren Rückmeldungen. Wer selbst einmal Venedig im Winter genießen möchte: Der österreichische Autor Wolfgang Salomon hat eine persönliche Reise durch ein winterliches Venedig beschrieben. Spaziergänge, die er gemacht hat, die den Leser*innen ganz viel Anregungen für eigene Streifzüge durch die Serenissima geben. Buchtitel: "Wintertage in der Serenissima" (Anm.: wahrscheinlich Werbung... aber Buch habe ich selbst im Buchhandel gekauft...).

  • #6

    Agustia (Samstag, 05 Oktober 2024 13:07)

    Es sind wirklich wunderschöne Bilder, die eine ganz eigene, fast träumerische Atmosphäre von dieser Stadt vermitteln. Trotz der spürbaren Kälte, die sich wie ein unsichtbarer Schleier über alles legt und man förmlich die kalte Hände fühlen kann, schwingt eine Magie in der Luft. Auf jeden Fall eine ganz andere Sicht, als man sie im Sommer kennt.