2024 feiern wir den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich, einem der bedeutendsten Maler der Romantik. Seine Werke, geprägt von tiefgründigen Themen wie Vergänglichkeit, Spiritualität und Einsamkeit, inspirieren mich immer wieder in meiner fotografischen Arbeit, insbesondere in der Landschaftsfotografie. Mit dem Thema „Einsamkeit“ setze ich mich schon seit ein paar Jahren mit meiner Bilderserie „Sound of Silence“ auseinander; ein Streetphotographie-Projekt, das ich mit diesem Beitrag in die fünfte Folge führe.
Beim Betrachten von Friedrichs Werken fällt auf, wie er seine Protagonisten oft klein und am Rand überwältigender Landschaften positioniert. Diese Komposition hebt die Einsamkeit der Figuren hervor, während die erdrückende Weite der Natur zum Sinnbild für das Universelle und Unerreichbare wird. Die Menschen in seinen Bildern sind meist Rückenfiguren – anonym, unnahbar, aber dennoch zutiefst menschlich. Sie laden uns ein, dass wir uns in sie hineinversetzen und uns fragen: Welche Gefühle begleiten sie? Welche Gedanken gehen ihnen durch den Kopf?
Auch im heutigen urbanen Raum lässt sich dieses Gefühl der Verlorenheit durch gigantische Häuserschluchten, in denen der Mensch klein und verloren wirkt, wiederfinden. Diese Parallele hat mich unter anderem inspiriert, in meiner Street Photography ähnliche Momente einzufangen. In meinen Bildern suche ich Menschen, die allein durch Straßen ziehen oder inmitten der urbanen Anonymität verweilen. Ob sie einsam oder nur allein sind, überlasse ich den Augen der Betrachter.
Einsamkeit war für den Maler Caspar David Friedrich nicht nur ein Zustand, sondern auch ein Raum der Reflexion und Spiritualität. Seine melancholischen Stimmungen werden durch Nebel, gedämpftes Licht und Symbolik wie Ruinen oder Kreuze verstärkt. Ähnlich wirken die Fotografien von Elina Brotherus, einer finnischen Fotografin, die sich in ihren Arbeiten mit existenziellen Themen wie Einsamkeit und Selbstwahrnehmung auseinandersetzt. In der sehenswerten ARTE-Dokumentation "Die Entdeckung der Unendlichkeit“, wird Ihr neben dem Leben und Schaffen Friedrichs Raum gegeben. Der Film ist noch bis 07.07.2025 in der ARTE-Mediathek abrufbar.
Brotherus verarbeitet in Serien wie „Annonciation“ persönliche Krisen und symbolisiert ihren unerfüllten Kinderwunsch in poetischen Selbstporträts, die berühren. In der Serie „In the Architect’s House“ zeigt sie eine fiktive Frau im Dialog mit ihrer Umgebung, während „Summer Guests“ die intime Einsamkeit eines Gastes in einem finnischen Sommerhaus, das von einem See und Kiefernwäldern umgeben ist, einfängt. Ihre Werke bestechen durch eine sorgfältige Farbkomposition und einer Balance zwischen Distanz und emotionaler Nähe – Qualitäten, die auch Caspar David Friedrichs Gemälde auszeichnen.
In meiner Serie „Sound of Silence“ greife ich das Motiv der Einsamkeit auf, jedoch mit einem urbanen Fokus. Als Street Photographer bin ich meist allein unterwegs, doch selten fühle ich mich dabei einsam. Alleinsein ist für mich ein wertvoller Zustand, der Raum für Kreativität und Reflexion schafft. Die Frage, ob die von mir abgebildeten Menschen einsam sind, einen bewussten Moment der Stille erleben oder auch nur alleine unterwegs sind, um Erledigungen nachzugehen, kann ich als Fotograf nicht beantworten.
Die Unterschiede zwischen Einsamkeit und Alleinsein lassen sich in meinen Motiven schwer widerspiegeln. Einsamkeit ist schmerzhaft, fast ohrenbetäubend wie das Geräusch der Stille. Alleinsein hingegen kann stärkend wirken – ein Zustand, den auch ich bewusst suche, um Energie zu tanken und die Kreativitätsbatterien aufzuladen.
Ich lade Euch ein, mit den Bildern in dieser Serie, Eure eigene Interpretation zu schaffen.
In einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Welt bleibt Einsamkeit ein zentrales Thema. Trotz unzähliger „Freunde“ auf Social-Media-Plattformen erleben viele Menschen eine Isolation, die durch oberflächliche Interaktionen verstärkt wird. Likes und Emojis ersetzen keine echten Gespräche, und die Suche nach authentischen Verbindungen wird immer schwieriger.
Die Weihnachtszeit ist eine Gelegenheit, dem entgegenzuwirken. Sie lädt uns ein, Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, echte Gespräche zu führen und unsere sozialen Fähigkeiten – wie Empathie und aktives Zuhören – auszuleben. Echtes Miteinander kann Einsamkeit vorbeugen, doch es erfordert Pflege und Wertschätzung.
Mit meiner Serie „Sound of Silence“ möchte ich die Nuancen von Einsamkeit und Alleinsein einfangen und Betrachtern Raum für eigene Interpretationen bieten. Ob in den Gemälden von Caspar David Friedrich oder den Fotografien von Elina Brotherus – das Thema Einsamkeit ist universell, zeitlos und inspirierend. Es fordert uns auf, innezuhalten und uns bewusst zu machen, dass es einen Unterschied zwischen dem Alleinesein und der Einsamkeit gibt, auch ob es nur ein augenblickliches Gefühl ist oder in einen Zustand mündet, der langfristig krank macht.
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Werner Pechmann (Montag, 02 Dezember 2024 10:36)
Was für ein inspirierender Beitrag. Danke! Ein wirklich "dankenswertes" Thema. Sind wir doch alle vernetzt und doch wird unsere Gesellschaft immer einsamer. Es lohnt sich, dieses Themas anzunehmen und es so wie du es tust, zu dokumentieren. Das mag ich sehr. Auch vielen Dank für den Tipp auf Arte.
Liebe Grüße,
Werner